Sonntag, November 13, 2016

Spiegelkind

Little L. ist nicht nur optisch mein Spiegelbild (bis auf die Augen, da hat er statt meinem "durchfallgelb"* das blaugrüngrau des Hübschen geerbt), auch vom Temperament her erkenne ich mein mindestens halbklingonische Wesen in ihm wieder. Besonders wenn er unterzuckert ist. Und noch schlimmer, wenn ich auch unterzuckert bin. Und ja, da rappelt es dann auch mal im Karton, da knallen Türen, da wird "dann ess ich halt nie wieder was" oder "dann verschimmelst Du halt in Deinem Zimmer" gebrüllt, da ist keiner von uns stolz drauf. Interessanterweise hat es auch zwischen meiner Mutter und mir früher so geknallt und ich fand es schrecklich. Das einzige, was ich mir zugute halten kann, ist, dass ich, anders als meine Mutter (ein minimaler Lerneffekt über eine Generation muss sein), recht schnell und nicht erst Jahrzehnte später einsehe, wenn ich Unrecht hatte oder dass wir beide Unrecht hatten, oder dass wir beide unterzuckert und deshalb nicht wir selbst waren und der Anlass diese Art von Streit sicher nicht wert war. Das ist ziemlich genau immer der Fall. Meist merke ich das sogar schon während der Schreierei, aber von "Und dann kriegst Du halt nie wieder Znüni mit in die Schule!" auf "Komm, wir teilen uns die Banane, danach sieht alles ander aus" umschalten, das kann ich halt auch nicht von 180 auf null.
 
Heute war aber in der Hinsicht ein mittelguter Tag: gegen Abendessenzeit wurde auf einmal alles etwas hektisch. Die Kinder hätten gern noch eine Folge Pokemon geschaut, ich bestand auf "Schultaschen für Montag packen" und "Ich glaub, mein Schwein pfeift, da ist ja noch die Znünibox von Freitag drin!" und "Bitte Wäsche zusammenlegen und Eure mitnehmen und einsortieren" und auf einmal war "Jetzt ist Essenszeit, das ging jetzt alles zu lang, es gibt keine Folge mehr.".
Little L. fand das sehr ungerecht, verschwand beleidigt im Zimmer und liess durch Little Q. ausrichten, dass er dann halt nix essen würde und ich würde schon sehen, was ich davon hätte, und ich könnte das schon machen, ihm kein Znüni mehr mitgeben, dann hätte er halt Hunger, wäre ja nicht sein Problem. Mein unterzuckertes inneres 7jähriges Ich wollte zurückbrüllen (oder Q. schicken und ausrichten lassen): "DANN HALT, MIR WURSCHT!", aber irgendwie regte sich irgendwie noch mein nicht ganz im hypoglykämischen Koma versunkenes fast 40jähriges Mutter-Ich, klopfte an die Kinderzimmertür und meinte: "Ich verstehe, dass Du dich jetzt ungerecht behandelt fühlst, aber ich fände es toll, wenn Du Dich überwinden könntest, runterzukommen und doch ein paar Nudeln zu essen. Wir wissen doch beide, wie hangry wir zwei werden. Vielleicht ist es nach den Nudeln alles nicht mehr so schlimm, das wäre es doch wert, auszuprobieren, oder?" Little L. sah mich mit schmalen Augen an und meinte: "Wenn Du dafür bereit bist, dass es unten dann noch mehr Streit gibt, dann komme ich runter." Ich habe mir ein Grinsen verkniffen und gesagt "Wir könnten ja beide einfach versuchen, gar nix mehr zueinander zu sagen, bis wir die erste Portion gegessen haben. Wenn wir danach immer noch aufeinander sauer sind, dann ist das halt so, aber dann haben wir wenigstens genug Power zum richtig Weiterstreiten. Ich finde, das wäre es wert, das auszuprobieren."
 
Und ja, Ende gut, alles gut, wir haben nicht mal einen ganzen Teller Nudeln bzw Raclette (Little L. mag keinen Käse als Hauptdings, deswegen hat er Schinkennudeln bekommen) gebraucht, um uns versöhnt in den Armen zu liegen.
 
Wenn doch nur alle Konflikte mit Nudeln und Käse beizulegen wären....
 

*der Hübsche und ich pflegen sehr ehrlich zueinander zu sein und auch wenn in meinem Pass "grün" steht, hat er mir schon sehr früh in unserer Beziehung diese Beschreibung meiner Augenfarbe mitgeteilt. Und ja, so unrecht hat er nicht. Mit einem Stich ins Grüne.

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Auch wenn das jetzt naiv klingen mag-ich freue mich drauf, solche Streitgespräche auch mit meinem Sohn zu führen...