Samstag, November 07, 2015

Familientradition

Ich fand es früher bei meinen Grosseltern super. Bei den Eltern meiner Mutter zB war der Grossteil des Hauses leergeräumt, es hingen weisse Laken über alten Möbeln in ungenutzten Räumen, wir durften in Keller und Speicher stöbern, vorsichtig mit den alten Spielsachen meiner Mutter und ihrer Schwester spielen (die Puppen und Bären durfte man "Nur mit den Augen, gell?!" anschauen), es gab so eine Kiste mit Kleinkram, ich erinnere mich an eine niedliche kleine grüne Plastikbox mit roter Rose drauf, insgesamt in etwa so gross wie jetzt mein erstes Daumenglied, und in dieser Plastikbox war ganz klein zusammengefaltet eine durchsichtige Plastikregenhaube drin. Es war immer ein Spiel auf Risiko, ob man diese Regenhaube wieder ganz in diese kleine niedliche Box reinbekommen würde.
Ausserdem gab es bei meinem Opa immer unendlich viel zu essen, es gab Pressack (fand ich nicht so lecker), ganz viele verschiedene Sorten Wurst, und vor allem von jeder Sorte sehr, sehr viel. Es gab Apfelsaft zu trinken, den mein Opa bei einer Mosterei gegen die Äpfel, die er im Garten zusammensammelte, eintauschte. Bei uns daheim gab es nie Saft, vermutlich deswegen, weil ich von Apfelsaft (oder nur vom Opaapfelsaft?) immer sofort Bauchschmerzen bekam. Bei meinem Opa war es aber nicht möglich, keinen Apfelsaft zu bekommen, deswegen begrenzte meine Mutter meine Apfelsaftaufnahme auf maximal ein kleines Glas. Ich fand das gar nicht schlimm, obwohl ich weniger bekam als meine bauchwehfreien Schwestern, weil ich dafür das schönste Glas bekam. Es war ein 0.1L-Glas, mit Relief von Moselweingärten drauf. (Es gab irgendwelche Verwandte in Trier oder bei Trier oder wenigstens an der Mosel, aber mehr weiss ich davon nicht). Ausserdem bekam meine Mutter immer MonCherie geschenkt und wir Kinder durften uns aus den schier unerschöpflichen Ritter-Sport-Schokoladenvorräten was aussuchen ("Bitte, Papa, stopf die Kinder nicht voll, die haben schon Unmengen Wurscht gegessen." "Also, ihr habt die Mama gehört, dann nur eine für gleich und eine für den Weg."), mein Favorit war Pfefferminz und manchmal auch Joghurt, wobei ich mir da nie sicher war, ob ich das jetzt unglaublich lecker und unglaublich ekelhaft fand.
Mein Opa hatte auch einen Hund, den Burli, an den ich mich nicht mehr aktiv erinnere, aber laut Fotos habe ich ihn mal gestreichelt, bevor er gestorben ist. Im Garten lebten zwei Schildkröten, nämlich Ino und Mira, wobei aber Ino sich schon zu Schulzeit meiner Mutter als Weibchen outete und immer mal wieder Eier vergrub, aus denen aber nie etwas schlüpfte. Im Winter schliefen die Schildkröten in der ungeheizten Einliegerwohnung im Erdgeschoss, die mit den zugehängten Möbeln. Irgendwann hatte mein Opa das Gefühl, sich nicht mehr gut um die Schildkröten kümmern zu können. Er hatte irgendwann mal gehört, dass man Schildkröten in den Zoo bringen könnte und genau das hat er gemacht. Er hat ihnen, damit er sie wieder erkennt, wenn er sie im Tierpark von Straubing besucht, "Ino" und "Mira" mit weisser Farbe auf den Panzer gepinselt und sie dann bei einem Zoobesuch in einer Tragetasche mitgenommen und im Schildkrötengehege unter dem Zaun durchgeschoben.

Ich erinnere mich immer noch an die Heimfahrten. Wir sassen hinten im Auto, es war schon dunkel, wir lutschten so leise wie möglich die Schokolade, die uns der Opa ("Da nimm, aber zeigs nicht der Mama") noch zugesteckt hatte, und hörten verwundert zu, wie sich unsere Eltern vorne über den Besuch unterhielten. Sie machten sich Sorgen um den Opa, dass er ohne die Oma (die hatte Alzheimer, so lange ich sie kannte, und starb, da war ich neun) sich nicht mehr um das ganze Haus kümmern könne, dass er komisch wäre, dass er soviel Ungesundes esse, dass er mit den Leuten im Fernseher rede, dass sie Angst hätten, dass mit dem Ölofen mal was Schlimmes passieren würde, oft hat meine Mutter im Auto geweint. Ich habe mich oft gefragt, ob wir beim selben Opa zu Besuch waren.

Heute verstehe ich sie sehr gut.

8 Kommentare:

m hoch drei hat gesagt…

So schöne Erinnerungen.
Manchmal schade, dass man nicht kind bleiben kann.

hiddenlidar hat gesagt…

Mitten ins Herz.

Mama 2.0 hat gesagt…

So schöne Erinnerungen, die einen dennoch ein bisschen traurig und nachdenklich zurücklassen...schön geschrieben!

daudlmaus hat gesagt…

WUNDERSCHÖN beschrieben. Auch wenn ich ganz andere Erinnerungen habe, so finde ich mich doch wieder. Nur der letzte Satz, der macht mich traurig. Denn als Erwachsener habe ich jetzt leider auch den anderen Blick auf die Realtität.

Anonym hat gesagt…

Tja, auch ich saß gerade schweren Herzens in der Bahn nach 1 1/2 Tage bei meiner Mutter. Es wird nicht einfacher, dabei habe ich noch Glück und habe vier Geschwister, um uns diese Sorgen zu teilen! Mein Bruder und meine Schwägerin, bei denen meine Mutter wohnt, kümmern sich absolut klasse um meine Mutter, haben aber selbst auch drei Kinder und benötigen auch etwas "Freizeit". Dazu kommt dann die älteste Schwester meiner Mutter ohne weitere Familie, die sich glücklicherweise entschieden hat, in ein Heim zu ziehen. Glücklicherweise, da Altersdemenz (sie konnte sich heute beim nachmittäglichen Kaffee-Trinken nicht erinnern, was sie zu Mittag gegessen hatte...). Und dann kommen die noch schwereren Gedanken, da auch ich alleine bin und keine Kinder habe...
Viel Kraft uns allen!
Petra

Anonym hat gesagt…

Lebt der Opa noch?

Frau Brüllen hat gesagt…

nein. meine grosseltern sind alle schon lange gestorben.

Barbara hat gesagt…

Hach...! (Aber die Schildkröten-Nummer ist schon sehr cool. :) )