Mittwoch, Dezember 20, 2017

Gentleman und Tannenbaum

Was für ein Tag... Gefühlt bin ich heute den ganzen Tag nur mit schweren Taschen (Stofftaschen voller Geschenke und mein wertvoller Ordner mit den Archivfunden von gestern, meine Arbeitstasche mit Laptop und allem anderen Tralalaa) auf 10cm Absätzen durch die verregnete Stadt gehetzt.
Tatsächlich habe ich aber auch total viel (und vor allem verschiedenes) erledigt: morgens schon eine Mail mit deutlichen Worten (ich habe den Auslösere gestern abend noch gelesen und mit Absicht wegen Feierabend und Diplomatie NICHT direkt drauf geantwortet, allerdings war mein Befremden über Nacht nicht abgeklungen, sondern hatte sich in wohlgesetzte Worte gegossen und so beendete ich eine seit gefühlt endlosen Zeiten hin und her gehende Diskussion (vorerst) mit den Worten: "Ich kann nicht fassen, dass wir ernsthaft darüber diskutieren. Um das HinundHer jetzt abzukürzen: solange xyz nicht sichergestellt ist, sehe ich mich ausserstande, das Dokument zu unterschreiben".




Das erledigt, fragte ich mal (ich sitze seit Montag, wo die veranschlagte Woche rum war, wie auf Kohlen) bei der Reiseabteilung nach, wie es denn mit dem Visum respektive meinem Pass aussehen würde. Ich wurde mitnichten belächelt, sondern "die indische Botschaft hat Probleme mit dem Drucker, wahrscheinlich kommt er morgen". Ich habe mir alle Witze über IT-Helpdesks, die in Indien lokalisiert sind, gespart und werde brav morgen nochmal anrufen.


Dann gingen mein Ordner und ich auf die erste Wanderschaft auf die andere Rheinseite: Richtung Rechtsabteilung. Das klingt irreführend, aber unsere SHE-Abteilung ist aus guten Gründen dieser unterstellt. Ich war total überrascht, dass mir in einem reinen Bürogebäude jemand in Laborkittel die Tür öffnete, aber nun ja. Auch überrascht war ich, dass mein Counterpart (er hat einen Vogel als Profilbild, deswegen hatte ich keine Ahnung, was mich erwarten würde) ein Gentleman der alten Schule sein würde. Ich wollte gerade schreiben: er hätte vom Alter her mein Grossvater sein können, aber das ist was, was ich mir abgewöhnen muss, es ist nämlich so, dass er vom Alter her eher nur noch knapp mein Vater hätte sein können. Aber: er hat mir meine Taschen (Ordner, Geschenke, Computer) abgenommen, meinen Mantel aufgehängt, einen Stuhl bereitgestellt und wir fingen nicht an zu diskutieren, bevor ich nicht eine Tasse Kaffee in der Hand hatte. Das war ein wirklich tolles Gespräch, es war wirklich spannend, sich mit jemandem zu unterhalten, der genau diesen Job seit 1987 macht. Für mich wär das nix, ich kriege so nach zweieinhalb Jahren langsam Hummeln im Hintern und möchte was Neues sehen, aber ich finde es grossartig, dass es bei uns auch solche Fachexperten gibt, die dann ... wie in so einer Art Parallel-Academia in so einer Art eigenen Welt leben und echte Koryphäen sind. Ich habe auf jeden Fall viel gelernt, viel von vor dem Krieg früher gehört und noch mehr Informationen (mein Rücken sagt danke, dass nicht alles in Papierform war) zum und ums Thema rum gekriegt. Er hat sich sichtlich gefreut, dass ich gekommen war, um mich zu informieren und dass sein Kollege in der Kaffeerunde laut gerufen hat: "Ui, die Frau Brüllen, mein Lieblings-SHE-Issue!", das nehme ich mal als Kompliment. Er hat ja schliesslich "Lieblings" gesagt.


Ich bin also mit meine Hausstand zurück auf die andere Rheinseite, habe eine halbe Stunde lang Dokumente sortiert und handschriftliche Notizen von 1972 entziffert, dann habe ich wieder alles zusammengepackt, mein Schwesterlein in der Cafeteria für Geschenkeaustausch und einen Nervenkaffee getroffen, dann bin ich mit einer neuen Tüte Geschenke, meiner Tasche, dem Ordner und noch einer Tasche Geschenke in den Bus gestiegen und einmal quer durch die Stadt gefahren, habe das Patenmädchengeschenk in die Briefkasten gesteckt, bin (ich hatte einen Anschluss verpasst und war echt spät dran) mit einer Tüte weniger auf ebenden 10cm-Absätzen durch den Nieselregen geRANNT zu dem Restaurant, in dem ich mit meine Team, für das ich das Irland-Italien-Projekt manage. Und (Sie denken wahrscheinlich, ich reite da ungebührlich drauf rum, aber es ist tatsächlich so und das ist mir ein Rätsel, warum es so ist und ein bisschen creepy finde ich es auch) Sie werden es nicht glauben: das ganze Team schaute sich gerade auf allen mobilen Endgeräten mein immer noch neues Profilfoto an und war högscht angetan und möchte nun auch Fotos vom Hübschen haben.


Das Essen war unglaublich lecker (ich habe aus Neugier das Risotto mit Gurke, Spinat, mariniertem Feta und Pfefferminzschaum genommen), das Glas Champagner vorneweg war ungeplant, aber hey, die anderen waren schon dabei, als ich reinkam, und so hatte ich dann den nötigen Schwung, um am Nachmittag meiner Detektivarbeit weiter nachzugehen.
Ich fand das eine Zeitlang in Filmen und so ja immer etwas unglaubwürdig, wenn jemand sagte "Ich bin da einer Sache auf der Spur, das könnte was Grosses sein", aber ich hatte das dieses Jahr schon einmal, wo ich so ein Bauchgefühl hatte und die Hoffnung, dass ich mich täuschen oder irgendwas falsch verstehen würde, aber dann habe ich gebohrt und gegraben und es war tatsächlich so, wie ich mir das gedacht hatte und das war ein Riesenglück, dass ich das rausgefunden habe. Jetzt ist es so, dass eh schon alles nicht so toll ist, aber ich habe heute nachmittag dann, nachdem ich meine Archivfunde um mich herum auf dem Boden ausgebreitet hatte (nächster Schritt ware eine Riesenpinnwand, wo ich alles mit Bindfäden verbinde und dann möchte ich bitte meine eigene Fernsehserie.) gesehen, dass das vermutlich nochmal sowas ist. nur grösser. viel grösser.
Ich habe also meine Erkenntnisse versucht in ... deutliche, aber sachliche Worte zu fassen, morgen muss ich noch einen Termin mit einem anderen Fachexperten ausmachen, um sie mal gegenchecken zu lassen, und dann bin ich bereit für Indien.


Punkt halb fünf musste ich dann heim, weil wir ja noch unbedingt den Tannenbaum holen mussten. Der Hübsche hatte Townhall, deshalb bin ich mit den Kindern runtergefahren, wir haben binnen 5 Minuten den weltbesten Tannenbaum ausgesucht, ein wenig gebogen in den Tesla gestopft, dann gings wieder heim, ich musste noch schnell zum coop, Brot und Früchte kaufen und für die Schwester meiner Kollegin ihre Lieblings-Darvidas ("Chia-Quinoa". It seems to be a thing.), dann Zeug wie Wäsche, Katze medikamentieren (ich sag jetzt nicht, womit wir ihr schon seit 5 Tagen problemlos beide Tablettenbröckchen reinbekommen), Rechnungen zahlen, um den Hübschen auf rohen Eiern rumtanzen, weil der gerade kurz vor dem Explodieren ist, da von seinen 4 noch ausstehenden Weihnachtslieferungen noch drei in kryptischen Ausnahmezuständen, aber nicht da sind.


Dann: dem Hübschen beim Kühlschrankaussuchen assistieren, es ist nämlich so weit: der Griff vom Gefrierfach ist abgebrochen und damit hat der Kühlschrank ganz laut die "Ersetzt mich durch einen grösseren, energiesparenderen, saucoolen!"-Glocke geläutet. Wir sind in der sehr komfortablen Situation, dass er eben erstens noch tut und zweitens unser Hauptproblem ist, dass wir uns nicht damit befassen wollen, wie man den alten rausholt und den neuen einpasst und nicht das Geld, das er kosten wird. Nur die Nerven und das Gedöns.


So, jetzt aber Dusche und dann die müden Füsse hoch. (in meinem Kopf war heute schon Donnerstag, ich weiss gerade nicht, wie ich das so finden soll...)


Selbstbeweihräucherung: ich bin ein guter Detektiv. Und stur.



2 Kommentare:

Queergedacht.de hat gesagt…

Interessant: Bei mir war auch schon Donnerstag im Kopf. Habe gemerkt, dass erst Mittwoch war weil ich den "Gelben Sack" rausstellen wollte, der immer freitags abgeholt wird, aber noch kein anderer an der Straße lag.

PaulineM hat gesagt…

Mal wieder toll dieser Tag. Ich bin immer ganz außer Atem, wenn ich die Beschreibung ihrer Arbeitstage mitverfolge, weil ich selbst an meinem heimischen Computer arbeite. 10 cm hohe Absätze haben da so gar keine Einsatzmöglichkeit, es sei denn vom Schreibtisch zur Kaffeemaschine und zurück.